Am Meer


Die Gezeitenkräfte entstehen dadurch, dass Mond und Sonne trotz ihrer großen Entfernung mit ihrer Anziehungskraft nicht ganz gleichmäßig auf die Erde einwirken, sondern auf der ihnen gerade zugewandten Seite etwas stärker und auf der abgewandten Seite etwas schwächer als im Durchschnitt. Diese Unterschiede wirken im Sinne einer Streckung der Erde nach beiden Seiten, um je ca. 45 cm in und entgegengesetzt zur Mondrichtung, und um je ca. 25 cm in und entgegengesetzt zur Sonnenrichtung. An einem festen Ort auf der Erde wird dieser Einfluss mit dem täglichen Umlauf der Sonne ein periodischer Vorgang, der sich jeden Tag zweimal wiederholt. Beim Einfluss des Mondes ist die Periode ca. 20–30 min länger, weil der Mond sich zusätzlich einmal im Monat um die Erde dreht und damit etwas länger von einem Höchststand zum nächsten braucht. Die Wirkungen von Mond und Sonne addieren sich, wobei der Mond den dominierenden Beitrag liefert und die Gesamtwirkung davon abhängt, wie groß der Winkel zwischen Mond- und Sonnenrichtung gerade ist. Mit der um die Erdachse rotierenden Streckung der Erde geht ein periodisches Heben der Erdoberfläche einher, das von der am jeweiligen Ort vertikalen Komponente der Gezeitenkräfte verursacht wird und daher am zugewandten und am abgewandten Punkt am stärksten ist. Dies Heben und Senken ist auf festem Boden als Erdgezeiten auch messbar. Es ist aber nicht die hauptsächliche Ursache der Tiden des Meeres. Viel stärker wirken sich hier die Gezeitenströmungen aus, die in der ganzen Tiefe des Ozeans von der horizontalen Komponente der Gezeitenkräfte angeregt werden. Diese Komponente ist am stärksten in zwei Bändern, die sich mit 45° Winkelabstand von den eben genannten Punkten stärkster Hebung und Senkung um die Erde ziehen. Die Gezeitenströmungen werden mit periodisch wechselnder Richtung angetrieben und in ihrer Form stark durch die Corioliskraft und die Kontinente beeinflusst. Sie verursachen an den Küsten periodische Änderungen der Wasserstände, die an vielen Orten mehrere Meter betragen, an anderen Orten aber auch weniger, und gegenüber dem Höchststand des Mondes abhängig vom Ort um Stunden verfrüht oder verspätet sind. Diese an sich schon verwickelten Verhältnisse werden zusätzlich durch das Wetter beeinflusst, weil starke Winde oberflächennahe Strömungen anregen, die an den Küsten ebenfalls die Wasserstände um bis zu einige Meter und auch die Eintrittszeiten von Hoch- und Niedrigwasser typischerweise um bis zu ca. ±20 min verändern können.

Bei Voll- und Neumond stehen Sonne und Mond von der Erde aus etwa auf einer geraden Linie, weshalb sich ihre Wirkungen zu einer besonders großen Tide, der Springtide, addieren. Bei Halbmond hingegen stehen Sonne und Mond rechtwinklig zueinander und so ergibt sich eine besonders kleine Tide, die Nipptide. Die Gezeitenkräfte der Sonne betragen zwischen 37 % und 57 % (im Mittel etwa 46 %) derjenigen des Mondes. Besonders große Gezeitenkräfte und Springtiden ergeben sich etwa 6 oder 8 mal im Jahr, wenn der Mond gerade bei Voll- oder Neumond den erdnächsten Punkt seiner Bahn durchläuft, wo die Ungleichförmigkeit der Anziehung maximal wird. Die größte Springtide ergibt sich, wenn dies sich Ende Dezember/Anfang Januar ereignet, wo zusätzlich die Erde dem sonnennächsten Punkt ihrer Bahn um die Sonne nahe ist.

Die Lehre von den maritimen Gezeiten der Erde heißt Gezeitenkunde. Ihre Grundaussagen sind Bestandteil der nautischen Ausbildung.

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