Barock bei uns daheim

 


Ein typisches Kennzeichen des Barock ist die Tendenz zum Gesamtkunstwerk. Was in dieser Epoche gebaut oder künstlerisch geschaffen wurde, sollte einen gemeinsamen Zug haben und harmonische Ensembles bilden.

Das ist besonders gut in noch bestehenden barocken Kirchen zu erkennen, in denen Architektur, Plastik und Malerei nicht nur miteinander harmonieren, sondern sogar ineinander übergehen – so kann ein Putto, eine Wolke oder ein Vorhang am Rand eines Gemäldes in Form von Stuck plötzlich plastische Gestalt annehmen. Oder es streben Säulen einem Deckengemälde zu und verwandeln sich dort zu Scheinarchitektur. Außerdem sollte sich die Kunst vom Gebäude ausgehend in der Landschaft fortsetzen. Ein gutes Beispiel ist Schloss Versailles, wo der Park mit den Wasserspielen, dem Kanal, den Bosketten, den Blumenrabatten und den Statuen wichtige Teile des Gesamtkunstwerks sind.

Stadtansicht von Karlsruhe (1721), ein typisches Beispiel für den von Ludwig XIV ausgrsailles alle Linien auf das Zentrum des Schloss zusehenden Zentralismus: so wie in Vetreben, wo das Bett des Königs steht, vereinen sich auch in Karlsruhe alle Linie im Zentrum des markgräflichen Schlosses.

Das Barock entwickelte sich etwa ab der Mitte des 16. Jahrhunderts aus der Renaissance. Die barocke Epoche löst die auf Einheit und Ruhe zielende Kunst der Renaissance ab. Teils wurden die klare Gliederung und klassische Formelemente wie SäulePilasterGebälk übernommen, die sich architektonisch aber weiterentwickelten. Die Liebe zur Symmetrie lässt sich gut an den (Haupt-)Fassaden ablesen: eine unregelmäßige Anzahl von meist vor- und rückspringenden Gebäudeteilen erlebt in der Mitte ihren Höhepunkt, wo ein mehrachsiger Bauteil häufig von Dreiecks- oder Segmentgiebeln bekrönt wird. Ein im Zentrum liegendes Portal erfährt eine meist prunkvolle Ausstattung mit Säulen- oder Pilasterschmuck, Statuen und dem Wappen des Bauherrn. Generell herrschte ein großer Formenreichtum und eine Freude an der Bewegung, sowohl an der Architektur (Konkav-Konvex-Schwünge an der Fassade, Bewegung des durchgehenden Gebälks durch Vor- und Rücksprünge des Mauerwerks) wie auch in Bildhauerei und Malerei. Die meisten Kunstwerke der Epoche scheinen von einem Wind durchweht, und die Figuren – Statuen und auf Gemälden – führen teils starke Bewegungen aus.

Im Unterschied zur Renaissance, die eine bürgerlich geprägte Epoche war, entwickelt sich Barock zur Kunst der Fürsten. König Ludwig XIV erfand für sich den Absolutismus. Seine Devise hieß L´état c´est moi (Der Staat bin ich), dessen architektonischer Ausdruck sich in dem von ihm geprägten Schloss wiederfindet. In der Mitte des Gebäudes, wo sich das Schlafzimmer mit dem prunkvollen Bett des Königs befindet, treffen alle strahlenförmig ausgehenden Linien zusammen. Dort befindet sich das Zentrum der Macht, von dort aus herrscht der König über Frankreich und über die Kolonien. Seine Ideen, die die Architektur und die Parklandschaft, aber auch das Zeremoniell betreffen, werden von den (deutschen) Fürsten auch noch so kleiner Fürstentümer mit Begeisterung übernommen.[6]

Die römisch-katholische Kirche hatte nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs einen großen Machtschub zu verzeichnen. Es war ihr gelungen, durch die Gegenreformation viele abtrünnige Gläubige zurückzugewinnen, wobei ihr entgegenkam, dass sie unter den vielen Mächten, die am Dreißigjährigen Krieg beteiligt waren, als einziger Sieger hervorgegangen war. Das wurde in zahlreichen, neu gebauten Kirchen zelebriert, deren Architektur und Innenausstattung die Eintretenden beeindrucken sollten (wie es auch schon in der Gotik der Fall war). Architektur und Künste wollten erstaunen und überwältigen, die Prunkentfaltung erlebte eine Hochphase. In Folge dieser Entwicklung entstanden die meisten barocken Kirchen in den katholischen Ländern Europas, sowie in Süd- und Mittelamerika, während man in protestantischen Gebieten an der Architektur der Gotik festhielt.

Die Kunstform, die Zeitgeist und Zeitgefühl des Barock besonders stark widerspiegelte und die mehrere Künste in sich vereinte, war die um 1600 in Italien entstandene Oper. Musik, GesangDichtkunstMalerei, (Schein-)Architektur und die neuartigen und staunenswerten Effekte der Bühnenmaschinerie, zu denen Feuerwerke und Wasserkünste gehörten, strebten wie die Architektur in Richtung Gesamtkunstwerk.

Wie schon in den Epochen zuvor entstanden auch im Barock Regelbücher, von denen das Werk Andrea Pozzos Perspectiva pictorum et architectorum (mehrere Ausgaben ab 1693) mit theoretischen und praktischen Anleitungen eines der populärsten für Architektur und Kunst war (siehe das Bild Entwurf für einen Altar). Es entstanden aber auch andere künstlerische Regelwerke und „Gebrauchsanweisungen“ zur Produktion von Kunstwerken. Unter anderem verfasste Martin Opitz 1624 mit dem Buch von der Deutschen Poeterey ein erstes deutschsprachiges Werk mit Anweisungen für regelgeleitetes Dichten. In Frankreich setzte die Académie Française die Normen des Regeldramas fest, an die Gottsched anknüpfte. In der Musik wurden die Notationssysteme perfektioniert, um die Reproduzierbarkeit und Präzision des Spiels in immer größeren Ensembles zu erhöhen.[7]

Parallel zu Architektur und Kunst schuf man im Barock auch Regeln und Normen für den Alltag, die vor allem den Umgang der Menschen bis ins kleinste Detail regelten. Ihren Höhepunkt erreichte die Entwicklung im barocken Zeremoniell, das nicht nur das korrekte Verhalten an einem Kaiser- oder Königshof regelte, sondern auch das höfliche Verhalten der Untertanen zueinander. Besonders genau ausgearbeitet wurde die Zeremonie des Begrüßens, wobei detailliert beschrieben wurde, wer (ein sozial Niedrigstehender) wem (einem sozial Höherstehenden) wie viele Schritte entgegengeht. Dabei wurde z. B. dem Aufeinanderzugehen im Stiegenhaus besondere Bedeutung zugemessen, das im Barock als Teil der Architektur so groß und feierlich wie möglich ausgestattet wurde. Generell kann man festhalten, dass das Gesamtkunstwerk alle Teile des Lebens erfasste Wer sich in (pompöser) Ausstattung und mit vollendeten Umgangsformen unter Menschen begab, spielte eigentlich Theater. Leben, Grüßen und das Sich-zur-Schau-Stellen unter Einhaltung bestimmter Regeln fanden wohl niemals zuvor und danach in einer derart ausgeklügelten Form statt.


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