Buen Camino

 


Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden die Kirchen San Martín in Frómista und San Isidoro in León, die Kathedrale von Jaca sowie die Burgkapelle von Loarre als Vorstufen der Kathedrale von Santiago de Compostela betrachtet.

Heute spricht man eher von wechselseitigen Beziehungen. Neben anderen Einflüssen wie der Einführung der römischen Kirchenliturgie in den nordspanischen Reichen, der Verbreitung des cluniazensischen Reformgedankens sowie der Ansiedlung französischer Händler und Handwerker in den Städten entlang des Camino Francés besitzt die um 1075/1078 begonnene Kathedrale von Santiago als gebauter Ort der Jakobuspilgerfahrt eine entscheidende Wirkung auf die Architektur entlang des Pilgerweges.

Die Kathedrale gehört dem Typus der so genannten Pilgerstraßenkirchen, die zwischen 1050 und 1150 in Frankreich und Spanien über einigen der am häufigsten besuchten Pilgergräber entstanden, an. Den Prototyp für diesen Kirchentypus bildete die ehemalige Abteikirche Saint-Étienne in Nevers. Bei der weiteren Ausformung haben enge Beziehungen zwischen den Bauhütten an Saint-Sernin in Toulouse sowie der Kathedrale von Santiago eine Rolle gespielt. Spätere Bauten der Gruppe sind Saint-Martin in Tours, Saint-Martial in Limoges und Sainte-Foy in Conques. Alle diese Bauten zeigen, wie sehr im Prozess ihrer Entstehung statisch-konstruktive Notwendigkeiten (Emporenhalle), liturgisch-praktische Bedürfnisse (Chorumgang) und ästhetisch-pastorale Architekturvorstellungen (einheitliches Wölbsystem) ineinander gegriffen haben.

Auch in der Bauskulptur wird der thematische und stilistische Zusammenhang hochromanischer Kirchenbauten an den Pilgerwegen deutlich. Die Portale des frühen 12. Jahrhunderts an Saint-Sernin in Toulouse, San Isidoro in León und an der Südfassade der Kathedrale von Santiago belegen eine enge Verflechtung der Bauhütten. Inhaltlich zeigt die Bauskulptur das kirchliche Interesse an einer Vermittlung der Themen Buße und Versöhnung. Die Betonung des Versöhnungsgedankens am Pórtico de la Gloria in Santiago steht in auffälligem Kontrast zu den Weltgerichtsportalen in AutunMâconConques und Sangüesa. Die Kathedrale von Santiago erweist sich als bewusst gestaltete Vollendung einer aus dem Wunsch nach Erlösung vollzogenen Pilgerreise.


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